Das geht besser! Persönliche Gedanken zur nachhaltigen Entwicklung der Stadt am Ryck

Kalkutta liegt am Ganges, Berlin liegt an der Spree – und Greifswald? Ja, Greifswald liegt am Ryck! Am Rick? Am Rück? Ja, am Ryck! Hier am Ryck konnte man unweit des Boddens einen sicheren Hafen anlegen, hier reichte die Moorniederung direkt bis an die Stadtmauer und bot sowohl Schutz für ihre Bürgerinnen und Bürger als auch Nahrung für das Vieh. An einer schmalen Stelle errichtete man eine Brücke und, als zentralen Ein- und Ausgang der Stadt in Richtung der größeren Schwesterstadt Stralsund, das Steinbecker Tor. Ohne diesen Fluss wäre Greifswald nicht, was es heute ist; er bestimmte Greifswalds Gründung und er ist für die Gegenwart prägend und wird es auch in Zukunft bleiben.

Dort am Ryck ist Greifswald auch besonders lebendig. Hier hat sich die Stadt in den letzten Jahrzehnten sehr positiv entwickelt: Die Fußgängerbrücke, der Museumshafen, das Unternehmen HanseYachts, Gastronomie und Einzelhandel sowie neuerdings auch das wiederbelebte altehrwürdige Gesellschaftshaus in der Stralsunder Straße 10 (die „Straze“) sind zu Anziehungspunkten geworden. Gleichzeitig hat sich das bürgerschaftliche Engagement in der Steinbecker Vorstadt weiterentwickelt, sich zunehmend professionell organisiert und in einem beispielhaften demokratischen Beteiligungsverfahren gemeinsam einen „Masterplan“ abgestimmt, der für die nächsten Jahrzehnte die Entwicklungsrichtung des Stadtteils festlegt.

Kommt man heute von Norden in die Stadt, dann durchquert man zunächst die - trotz des starken Autoverkehrs - liebenswerte, kleinteilige Steinbecker Vorstadt, in der noch zahlreiche historische Gebäude erhalten sind. Der Blick fällt sogleich über den Ryck auf die Altstadt und auf den Dom St. Nikolai mit seinem prägnanten Turm. Diese Stadtsilhouette ist spätestens seit den weltberühmten Bildern von Caspar David Friedrich Greifswalds Markenzeichen. Und bis heute kann man sie noch immer an vielen Orten der Stadt und des Umlandes erleben – auch dies verdankt Greifswald zu einem guten Teil dem Ryck, der die Stadtentwicklung in Richtung Norden eng begrenzt.

Damit sind wir beim nächsten großen Thema, das Greifswald attraktiv macht: Greifswald ist nicht nur durch das Mittelalter, die Backsteingotik und eine Fülle historischer Bauten geprägt; Greifswald ist eine Stadt der Romantik, auch heute noch – und das spürt man, wenn man in ihr unterwegs ist. Greifswald wucherte auch in jüngster Zeit sehr erfolgreich mit diesem Pfund: Die Universität forscht in einem Romantik-Schwerpunkt, das Pommersche Landesmuseum erhält eine „Galerie der Romantik“ und obendrauf die Schenkung einer einzigartigen Sammlung Dänischer Landschaftsmalerei, eine Caspar-David-Friedrich-Gesellschaft pflegt das Erbe des Malers und nicht zuletzt der Tourismus setzt erfolgreich auf die Romantik-Karte. Mehr und mehr Gäste besuchen die Stadt, um auf dem Caspar-David-Friedrich-Weg in die Welt der Romantik einzutauchen.

All dies zeigt: Greifswald hat es geschafft, sich auch als Stadt der Romantik überregional und sogar international zu profilieren. Greifswald wird stärker wahrgenommen, wird attraktiver und entwickelt sich weiter: Glückliches Greifswald!

Doch halt - fällt uns dieses Glück einfach so zu? Oder müssen wir nicht auch heute und in Zukunft genau hinschauen und gemeinsam darauf achten, dass es so glücklich weitergeht? Haben wir verstanden, worin die zentralen Werte unserer Stadt bestehen und wie wir sie als gemeinsames Erbe und Kapital für die Zukunft erhalten?

Die Vorstellung, dass das Bauprojekt in der Stralsunder Straße 47/48 genehmigt und realisiert werden könnte, lässt mich daran zweifeln. Man stelle sich bitte vor, was da auf die Stadt zukommt: Ein Koloss mit 5 Stockwerken und 48 Wohnungen soll die jetzige lockere, 2- bis 3-geschossige, kleinteilige Bebauung ersetzen. Anstatt auf die Stadtsilhouette mit dem Domturm könnte unser Blick dann bald schon auf den überdimensionierten Neubau gelenkt werden, der das Eingangstor der Stadt dominieren und radikal verändern wird. Ein zentraler und prägender Ort Greifswalds, der noch die Situation des 19. Jahrhunderts erahnen lässt, wird unwiederbringlich verloren sein. Die Altstadtinitiative, Trägerin der Rubenow-Medaille als höchster Auszeichnung der Stadt, hat sogleich auf diese Fehlplanungen hingewiesen. Doch wo bleiben die Einwände der Institutionen in dieser Stadt, die sich sonst für das historische Erbe und insbesondere die Romantik in ihren unterschiedlichen Facetten stark machen? Wer Bedenken habe, der äußere sie jetzt, bevor es zu spät ist!

Und noch eine Frage schließt sich hier an: Ist das alles überhaupt wirtschaftlich? Ich habe da große Zweifel. Aus Sicht der neuen Grundstückseigentümer mag es vernünftig erscheinen, ein Wohnhaus so groß wie nur irgend durchsetzbar zu planen. Doch rechnet es sich auch für die Allgemeinheit und auf lange Sicht? Wäre dieser Neubau ein Gewinn für die Stadt oder nicht vielmehr ein Fehler, ein Verlust, nicht nur an historischer Identität, sondern auch materiell, wenn man an die Folgen für das historische Stadtbild und dessen Bedeutung für die Lebensqualität aller und für die wirtschaftliche Entwicklung Greifswalds denkt?

Mir scheint, dass über Bauvorhaben, nicht nur in der Steinbecker Vorstadt, in Zukunft noch gründlicher nachgedacht werden sollte. Dann auch mit der bisher bei diesem Bauprojekt nicht realisierten Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger, die sich zu Recht fragen, warum sie Masterpläne entwickeln, die dann im Handeln der Stadt nur selektiv berücksichtigt werden; und am besten auch mit Unterstützung durch unabhängige Expertise von außen, so wie es Stralsund mit seinem Gestaltungsausschuss schon lange und mit Erfolg praktiziert.

Und schließlich sollte gerade in der Steinbecker Vorstadt mehr über den Ryck nachgedacht werden: Der Wasserhaushalt der Landschaft verändert sich in unseren Zeiten der Klimakrise rasant, auch in Vorpommern. An Land und in den meisten Flüssen und Seen wird das Wasser immer knapper und in den Meeren steigt es kontinuierlich an. Hierauf muss Greifswald auch in Zukunft reagieren können und dem Ryck mit seinen angrenzenden großflächigen Moorflächen kommt hierbei eine Schlüsselrolle zu. Es geht gerade in der Steinbecker Vorstadt, die derzeit (wie lange noch?) wenige Meter über dem Wasserspiegel der Ostsee liegt, um die Verzahnung von Siedlungsflächen, in denen mehr Wohnraum entstehen soll, mit angrenzenden Moorflächen, die wieder nasser werden müssen, damit Greifswald seine Klimaschutzziele einhalten kann. Diese Herausforderung zu meistern, dafür könnte Greifswald mit seiner Universität, Wirtschaft und seiner aktiven Zivilgesellschaft ein Zukunftsmodell sein, eine Klimaschutz-Modellstadt an der Grenze von Wasser und Land. Das wäre dann eine lohnende Investition für alle!

Tiemo Timmermann ist Greifswalder und Mitglied in der Bürgerinitiative Steinbecker Vorstadt sowie der Bürgerlobby Klimaschutz e.V.

Das geht besser!

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