Was bedeutet das „Vorkaufsrecht“ für eine Stadt?
Das Vorkaufsrecht ermöglicht es der Stadt, punktuell gezielt und aktiv die Entwicklung eines Stadtteils zu gestalten. Wenn ein Besitzer ein Gebäude oder ein Grundstück verkaufen möchte und einen Käufer gefunden hat, wird die Stadt über den geplanten Verkauf informiert. Die Stadt hat dann die Möglichkeit, zu entscheiden, ob sie selbst in den Kaufprozess eintreten möchte, um die Immobilie oder das Grundstück zu erwerben. Dabei kann auch zugunsten Dritter gekauft werden, um selbst entscheiden zu können, was oder wie gebaut wird.
- Stadtentwicklung in stadteigener Hand
- Bezahlbaren Wohnraum schaffen
- Soziale Durchmischung des Stadtteils erhalten
- Attraktivität des Stadtteils weiter steigern
- Familienfreundlichkeit des Stadtteils steigern
- Wirtschaftliche Entwicklung fördern
- Gemeinschaftswohnformen als Besonderheit des Stadtteils
- Beispiele aus anderen Städten
1. Stadtentwicklung in stadteigener Hand
Mit einem Vorkaufsrecht kann gewährleistet werden, dass die Stadtentwicklung auch in der Hand der Stadt liegt und nicht vom Immobilienmarkt abhängig ist. Das Integrierte Stadtentwicklungskonzept 2030plus (ISEK) beschreibt bereits vielfältige Ziele, die zukünftig nur erreicht werden können, wenn die Stadt Greifswald die Chance hat, diese aktiv zu beeinflussen.
2. Bezahlbaren Wohnraum schaffen
Die Stadt Greifswald wächst und benötigt stetig mehr Wohnraum. Auch in der Steinbeckervorstadt muss daher gebaut werden, um den steigenden Bedarf zu decken. Neben der notwendigen Lückenbebauung in der Stralsunder Straße liegt die Schwierigkeit in diesem Stadtgebiet beim Neubau abseits dieser Verkehrsachse. Der Großteil der weiteren Flächen weist einen überaus schlechten, sehr nassen Baugrund auf (s. z.B. Bebauungsplan Nr. 3 Stralsunder Straße, Stadtplanungsamt Greifswald, Andrea Henning, Stand Juli 2003). Darin liegt einer der Hauptgründe, warum sich die Stadt in der Vergangenheit nicht in Richtung Norden ausgedehnt hat. Eine Bebauung dieser Grundstücke würde mit erheblichen Kosten einhergehen und nur sehr teuren Wohnraum bedeuten. Mit einem Vorkaufsrecht kann die Stadt selbst Kriterien festlegen, an wen die Grundstücke weiterverkauft werden sollen, um das Ziel bezahlbaren Wohnraum in Innenstadtnähe zu schaffen, zu erreichen.
3. Soziale Durchmischung des Stadtteils erhalten
Durch das Vorkaufsrecht kann die Stadt Greifswald selbst entscheiden, für welche Zielgruppe Wohnraum geschaffen werden soll, um einen sozial durchmischten Stadtteil zu erhalten. Sowohl bezahlbarer und sozialer Wohnraum als auch altersgerechte Wohnformen sollten dabei berücksichtigt werden. Auch Wohnraum für mittlere und hohe Einkommen und für Familien sollten ausgewogen in einem durchmischten Stadtteil vorhanden sein.
4. Attraktivität des Stadtteils weiter steigern
Die Steinbeckervorstadt ist nicht nur für die Anwohner*innen ein zentraler Lebensort. Für einen Großteil der Stadtbevölkerung ist der Stadtteil ein zentrumsnahes Erholungsgebiet. Viele Greifswalder*innen nutzen die Promenade und die Grünflächen am Ryck zum Spazieren und Erholen. Auch Studierende des Löffler-Campus, Jogger*innen und Familien genießen die Grünflächen in Fluss- und Hafennähe. Besonders der Museumshafen gehört zu den wichtigsten Sehenswürdigkeiten für Tourist*innen von Nah und Fern. Durch das Vorkaufsrecht kann die Stadt Greifswald auch im Bereich Tourismus auf die Bedarfe reagieren und die stadteigenen Planungen umsetzen.
5. Familienfreundlichkeit des Stadtteils steigern
In der Steinbeckervorstadt gibt es bisher nur einen einzigen Spielplatz und bisher keine Kindertagesstätte. Durch das Vorkaufsrecht kann die Stadt auch in diesem Bereich tätig werden und Grundstücke für den Ausbau der Familienfreundlichkeit des Stadtteils erwerben und ggf. an entsprechende Träger oder Initiativen weiterverkaufen, die z.B. dringend benötigte Betreuungsplätze schaffen können.
6. Wirtschaftliche Entwicklung fördern
Das maritime Gewerbe am Museumshafen prägt den besonderen Charakter des Stadtteils. Weitere Kleingewerbe, wie beispielsweise ein Café oder ein Bäcker fehlen jedoch bisher in der Steinbeckervorstadt. Die Steinbeckervorstadt könnte auch ein Zentrum für StartUps und für die Kreativwirtschaft der Stadt sein. Die Richtung, in die sich der Stadtteil auch wirtschaftlich entwickeln soll, kann durch ein Werkzeug, wie die Vorkaufsrechtssatzung, von der Stadt bestimmt werden.
7. Gemeinschaftswohnformen als Besonderheit des Stadtteils
In der Steinbeckervorstadt befinden sich derzeit bereits drei Gemeinschaftswohnprojekte: In der Stralsunder Straße Nr. 10 (Kultur- und Initiativenhaus Greifswald e.V.), Nr. 5 (Gemeinsinn e.V.) und bereits seit 21 Jahren in der Nr. 46 (Haus der Kultur und Bildung, kurz: HKB). Sie sind Orte des Austauschs im Viertel, machen die Nachbarschaft lebendiger und sozial verlässlicher. Sie sind eine Möglichkeit, sozialen und bezahlbaren Wohnraum zu sichern. Hierbei geht es sowohl um den Zusammenschluss mehrerer Familien bzw. Haushalte als auch um das generationsübergreifende Wohnen.
Auch im ISEK „Sicherung und Erweiterung des vielfältigen, zielgruppenspezifischen Wohnraumangebotes“ wird Gemeinschaftswohnen als wichtiger Bestandteil Greifswalds benannt. Mieterhöhungen, unterschiedliche Vorstellungen zu baulichen Fragen und der Weiterverkauf, wenn die Marktlage sich günstig entwickelt – all das verhindert langfristiges soziales und bezahlbares Zusammenleben in der Wohn- gemeinschaft. Durch einen Zwischenerwerb, der durch die Vorkaufsrechtssatzung ermöglicht werden würde, könnte die Stadt Greifswald Gemeinschaftswohnprojekte langfristig sichern.
8. Beispiele aus anderen Städten
Auch in anderen Städten wird das Vorkaufsrecht bereits angewandt. In der Stadt Münster gibt es beispielsweise das Modell der sozialgerechten Bodennutzung (SOBO-Münster). Dieses umfasst ein Konzept, bei dem der kommunale Zwischenerwerb von Flächen dem Zweck dient, die Flächen mit einer Konzeptausschreibung weiterzuvermitteln. Vor der Einleitung von Bauplanungen schließt die Stadt mit den Vorhabenträgern verbindliche Verträge zur Umsetzung der wohnungspolitischen Ziele ab. Dies wäre durch die Vorkaufsrechtssatzung auch in Greifswald möglich.
Laura Freitag und Claudia Gaschler